"Anerkennung zu erfahren, ist ebenso wichtig wie das Training der Selbstregulation, damit Kinder lernen, von selbst zur Ruhe zu kommen"
mmer mehr Kinder gelten als notorisch unaufmerksam oder hyperaktiv - wie kommt das? Werden Heranwachsende heute mit so vielen Reizen überflutet, dass mancher dem nicht mehr gewachsen ist? Oder
stellen Eltern und Lehrer höhere Ansprüche an das Konzentrationsvermögen als früher? "Gehirn&Geist" sprach mit dem Heidelberger Kinderpsychiater und ADHS-Spezialisten Helmut Bonney.
Herr Dr. Bonney, Studien deuten auf einen großen Einfluss genetischer Faktoren bei der Entstehung von ADHS hin. Andererseits hat die Zahl der Diagnosen in jüngster Zeit zugenommen. Wie passt das
zusammen?
Unsere genetische Ausstattung hat sich in den letzten paar tausend Jahren sicher nicht grundlegend verändert. Wenn man heute also in wachsendem Maß Aufmerksamkeitsprobleme bei Kindern beobachtet,
dann hat das in erster Linie mit veränderten Umweltanforderungen zu tun. ADHS ist im Wesentlichen ein kulturelles Phänomen, dessen Wurzeln weit zurückreichen. Schon etwa um die Mitte des 19.
Jahrhunderts machte das Verständnis von Wahrnehmungsprozessen einen grundlegenden Wandel durch: Nicht mehr das Objekt wurde als deren Ausgangspunkt betrachtet, sondern das Subjekt, das
selbstständig dafür sorgen muss, dass es im "Gewühle der Sinneseindrücke" nicht untergeht.
Gleichzeitig hat sich die alltägliche Reizdichte, mit der wir zurechtkommen müssen, enorm erhöht – etwa bei der Arbeit oder auch in der Mediennutzung. So entstanden ganz neue Ansprüche an den
Einzelnen: Der moderne Mensch lenkt seine Aufmerksamkeit selbst, er ordnet alle Informationen, wie er es braucht.
Was hat sich im Alltag von Kindern geändert, dass inzwischen jedes 20. als hyperaktiv oder aufmerksamkeitsgestört gilt?
Die Intensität und Schnelligkeit der Wahrnehmungsanforderungen hat stark zugenommen. Die meisten Heranwachsenden können sich dem anpassen. Mein Sohn zum Beispiel hat im Zuge seiner Ausbildung zum
Flugzeugpiloten seine visuelle Wahrnehmungsgeschwindigkeit enorm gesteigert. Er macht sich oft darüber lustig, wenn ich beim Videospielen oder Ähnlichem nicht mit ihm mitkomme und mir einfach
Dinge entgehen, die er mit Leichtigkeit aufschnappt. Dann sage ich zu ihm: Noch ein Wort, und du übst bei mir Geige! Was er auf visuellem Gebiet kann, beherrsche ich nämlich auf akustischem viel
besser.
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